Berlin, Leben

Friedenau vs. Kreuzkölln

„Spießig!“ -„Habt ihr euren Sohn schon zum Tuba-Unterricht angemeldet?“ – „Friede-was?“ – die Reaktionen auf unseren Umzug nach Friedenau waren durchweg positiv. Nicht! Wir sind von Kreuzkölln, dem Inbegriff des hippen Berlins, nach Friedenau gezogen, und auch ich musste anfangs auf der Karte nachschauen, wo dieser zwar wohlklingende, aber noch nie gesehene Ort überhaupt liegt (aha: zwischen Schöneberg und Steglitz). Vom angesagtesten Viertel Berlins in eines der unbekanntesten, und das auch noch außerhalb des Rings – wie konnte es so weit kommen? Und wie fällt mein Fazit heute, ein Jahr später, aus?

Die Entscheidung, angesichts unserer Familienplanungen eine Wohnung in Berlin kaufen zu wollen, fiel über 1,5 Jahre früher. Klar standen zunächst Kreuzberg, Schöneberg und co. ganz weit oben. Das Problem: Die Wohnung sollte genügend Zimmer haben, halbwegs (ab-)bezahlbar sein, und wir mussten den Zuschlag trotz zahlreicher, teils bestechungsfreudiger, Mitbewerber erhalten. 18 zeitintensive und frustrierende Monate später war klar: Da wo wir suchen, wird das nix.

Friedenau zog letztlich unsere Aufmerksamkeit durch die Nähe zur Arbeit und wunderschöne Altbauten auf sich. Plus: Wir bekamen dort endlich die einmalige Gelegenheit zum Kauf. Bauchgefühl (gut) siegte über Kopf (Werden wir uns zu Tode langweilen?). Kreuzkölln vs. Friedenau, war es rückblickend die richtige Entscheidung und kann man hier (ob Eigentümer oder Mieter) glücklich werden? Man kann.

Wohnung

Holzboden, hohe Decken, Stuck – es musste einfach wieder ein Altbau sein. Gibt es in Berlin, die Frage ist nur: In welchem Zustand. Von top saniert bis komplett renovierungsbedürftig findet sich hier alles. Klar kann man das 70-er Jahre Bad so lassen. Die Begeisterung über durchfallfarbene Fliesen hält sich jedoch umso mehr in Grenzen, da man für denselben Preis JWD eine Villa mit Garten und Pool bekäme. Noch schlechter ignorieren lässt sich, wenn die Lage zwar stimmt, aber leider ein benötigtes Zimmer fehlt oder der beauftragte Gutachter vom Kauf abrät („unterster Sozialbaustandard“). Fakt ist, unsere schöne und sanierte Altbauwohnung hätten wir in Kreuz- oder Schöneberg weder bekommen, noch bezahlen können. In Kreuzkölln gab es zudem in 1,5 Jahren nichtmal etwas zu besichtigen. Wenn der Gutachter entzückt von der schönsten Wohnung spricht, die er seit Jahren gesehen hat, dann ist man in Friedenau.

Lage

In Berlin geht, zusätzlich zur Arbeit, allzu oft zu viel Zeit für Hin- und Rückfahrt drauf. Täglich zwei Stunden Lebenszeit vergeuden fürs Kuscheln mit Fremden und durch den Mund atmen, und das auf lange Sicht? Nein danke. Der Weg zur Arbeit ist jetzt deutlich kürzer als von Neukölln aus – 15 Minuten Fahrradweg, und das im weitläufigen Berlin. Katsching! Um noch halbwegs zentral zu wohnen und somit auch Freunde weiterhin gut erreichen zu können, suchten wir zudem innerhalb des Rings. Das hat nur halbwegs geklappt, ich würde Kreuzkölln daher als zentraler einstufen – je nachdem was man als „zentral“ in Berlin bezeichnen will, vielleicht gemessen an manchen der in der ganzen Stadt verstreuten Freunde, oder an einigen gern besuchten Ecken. Auch wenn die Nähe zur Ring- (sehr praktisch) und U-Bahn schnelle Wege ermöglicht.

Unmittelbare Umgebung

Zum Wohlfühlfaktor tragen ja nicht nur die Wohnung an sich oder Freunde und Arbeit in der Nähe bei, sondern natürlich auch, was sich unmittelbar vor der Haustür befindet. Wo man da seine Prioritäten setzt, ist unterschiedlich. Zudem verändern sich die Bedürfnisse mit der Zeit, insbesondere wenn man nicht nur für sich, sondern auch für einen Mini-Menschen ein dauerhaftes zu Hause sucht. Darum muss ich an dieser Stelle etwas ausholen…

Eine Wohnung nähe Bergmannkiez wurde uns erst zu- und dann aus unerklärlichen Gründen wieder abgesagt. Wir hätten sie trotz fehlendem Balkon genommen – eigentlich ein Ausschlusskriterium, aber die Wohnung und vor allem die Lage überzeugten. Warum? Wir wünschten uns ansprechende Gastronomie und Shops in Laufnähe, aber auch mindestens einen Park, den ich mit meinen zukünftigen Kindern ohne Pfefferspray betreten würde. Und die spätere Einzugsgrundschule (immer die, die am nächsten dran ist – Wechsel anscheinend schwer möglich) sollte bestenfalls nicht die Hitliste der Berliner Problemschulen anführen. Damit sah es im restlichen Kreuzberg schonmal mau aus. Ein ehemaliger Nachbar aus Kreuzkölln berichtete mir, wie unglücklich er mit der Kreuzberger Schule für seine kleine Tochter sei.

In Friedenau wird unsere Grundschule um die Ecke von Tagesspiegel-Autoren umschwärmt und sieht dabei noch aus wie Harry Potters Internat. Wenn da keine glücklichen Kinder drin sind, dann nirgendwo. Der nahe gelegene Volkspark Wilmersdorf zählte überdies schon vor dem Umzug zu meinen Lieblingsparks, und beim Gedanken daran, den Kinderwagen durch die Hasenheide oder den Görlitzer Park schieben zu müssen, stellen sich mir heute noch die Nackenhaare auf. Klar, die überall anzutreffenden Drogendealer sind zwar nervig, aber meist harmlos. Doch sie ziehen ein bestimmtes Klientel an, und ich möchte mein Kind gern im Sandkasten spielen lassen, ohne ihm regelmäßig Spritzen aus dem Fuß zu ziehen. Es gibt zahlreiche schöne Spielplätze in Friedenau, u.a. einen Wasserspielplatz am nahegelegenen Rüdesheimer Platz. Auch Spaziergänge empfinde ich hier als deutlich entspannter – keine dreckigen Bürgersteige voller Hausrat und vollgepisster Matratzen („Nein Henri, du kannst nicht auf dieser Matratze spielen, nein, komm weg da – siehst du die gelben Flecken? Ja, das ist URIN, mein Schatz, URIN, das ist bäh, darum machen wir einen groooßen Bogen…“), stattdessen spaziert man hier durch von Bäumen gesäumte Straßen, vorbei an Vorgärten vor schönen Altbauten. In Friedenau riecht die Luft frisch, und wenn ich das Fenster öffne höre ich Vogelgezwitscher statt Lärm. Der Preis für’s mittendrin sein ist eben, mittendrin zu sein.

Alternativ bin ich in Kürze im wunderschönen Grunewald, am See oder der kinderfreundlichen Domäne Dahlem, und das alles, ohne mein Rad zuvor in U- oder S-Bahn zu hieven oder mich bis zum ersten halbwegs schönen Fahrradweg zuvor todesmutig durch den dichten Neuköllner Verkehr kämpfen zu müssen. Glaubt man den Medien, dass es eine neue Welle der Stadtflucht hin zum Landleben gibt, so bietet Friedenau eine angenehme Mischung: Sowohl schnell im Grünen als auch an den urbanen Hotspots.

In Neukölln war mir zudem die nächste U-Bahnstation, der Hermannplatz, schon immer ein Dorn im Auge. Schlimmer ist nur der ebenfalls nahe gelegene Kotti (Messerattacken und Schießereien…). Nicht nur hatte ich bei Besuch von außerhalb andauernd das dringende Bedürfnis, mich für diesen unfassbar hässlichen Platz zu entschuldigen. Auch wurde mir erst Jahre später durch eine Freundin klar, wie anstrengend das Ganze war, als sie nämlich nebenbei erwähnte, wie angespannt sie vor Besuchen jedes Mal über den Hermannplatz laufe. Als ich darauf achtete und mit dem Gefühl in anderen Ecken Berlins verglich, wurde mir klar, dass es mir genau so ging. Es war mir nur nie aufgefallen, da ich in Berlin immer nur in Neukölln gewohnt hatte. (Genau so wie man als zugezogener Neuköllner denkt: „Hipster und Dönerläden – das ist Berlin!“ Verlässt man jedoch sein Viertel, stellt man immer wieder verwundert fest, dass dort auch Kinder und Menschen jenseits der 40 leben). Auch an die Anrufe bei der Polizei, weil sich mal wieder zwei rivalisierende Familien auf der Straße bekriegten, hatte ich mich irgendwie gewöhnt. Das blutverschmierte Klingelschild einer Freundin irritierte mich nur kurz, und nach dem Einbruch in unsere Nachbarwohnung mitten am Tag, während die Bewohnerin gerade in der Badewanne lag, schlossen wir eben auch tagsüber die Wohnungstür von innen ab (aber hey, die Bars in der Gegend sind mega!).

Die zwielichtigen Gestalten, die mich in Kreuzkölln zumindest immer dann die Straßenseite wechseln ließen, wenn ich sie per Quickscan auf Drogen und somit als unberechenbar eingeschätzt hatte, der Verkehr, die Massen an Menschen, die Homogenität auf dem Kottbusser Damm, das alles hat mich lange latent gestresst. Bewusster wurde es durch den nächtlichen Überfall vor meiner Haustür, bei dem der Dieb meine Tasche entwendete und noch auf mich einprügelte. Mein Mann meinte letztens spaßeshalber: „Das Schlimmste, was dir in Friedenau passieren kann, ist, von einer Oma mit Rollator überfahren zu werden“. Klingt wahrscheinlich nicht so aufregend, ist aber mit Kind ungemein entspannend! Zumal ich mit dem kleinen Dicken immer wieder in nette Gespräche verwickelt werde. Während ich in den vier Jahren in Neukölln vergeblich darauf gewartet habe, im Späti um die Ecke mal mit einem Lächeln oder auch nur einem „Hallo“ begrüßt zu werden.

Natürlich ist es interessanter, im lebhaften Kreuzkölln im Café zu sitzen und die Leute zu beobachten. Und der Punkt für die bessere Gastro- und Barszene geht ganz eindeutig dorthin, da ist man schlichtweg mittendrin.

Vor allem die riesige Auswahl an Cafés mit Frühstück zum Niederknien hat mich regelmäßig beglückt (wenn die Erlebnisse auch zwischen grandios und lächerlich-kleine-dafür-überteuerte-Portionen-aber-Hauptsache-hip schwankten). Auch wenn ich jetzt schnell mit dem Rad im Akazienkiez oder in Charlottenburg bin, könnte es davon vor meiner Haustür gern mehr geben.

Fazit:

Für uns ist Friedenau genau jetzt genau richtig, vor allem mit Baby. Wer es bunt und aufregend haben will (und etwas findet) sowie zwischen zahlreichen Cafés, Bars, Clubs und Restaurants wohnen möchte, der ist in Kreuzkölln bestens aufgehoben. Ruhiger (ergo: entspannter) und, wie ich finde, schöner lebt es sich in Friedenau, wo es übrigens nicht nur alte Leute, sondern auch viele Familien gibt. Ob wir uns hier langweilen? Wir haben ein Baby. Frage beantwortet. Und mein Mann, der ursprünglich unbedingt in Kreuzkölln wohnen bleiben wollte, hat neulich erstaunt festgestellt, dass er sich noch nicht ein Mal dahin zurückgesehnt hat. Ob das an den netten Omis hier liegt?

 

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