Die inspirierendsten Orte der Welt, Reisen

Die inspirierendsten Orte der Welt – Kapstadt

„The world is a book, and those who don’t travel only read one page.“ (St. Augustine)

Dieses Zitat bringt es für mich auf den Punkt. Reisen bedeutet für mich, aus dem Gewohnten auszubrechen und mal wieder über den Tellerrand zu blicken. Die Erlebnisse und Erfahrungen, die ich auf der ganzen Welt gesammelt habe und die Menschen, die ich traf, haben mich nachhaltig beeinflusst und verändert. Ich mag mich selbst lieber, wenn ich auf Reisen bin, daher würde ich soweit gehen, zu sagen, dass das Reisen aus mir einen besseren Menschen macht. Wenn ich unterwegs bin, bin ich gelassener und ausgeglichener. Ich mache mir weniger Sorgen, konzentriere mich aufs Wesentliche und empfinde regelmäßig tiefste Dankbarkeit für das wunderbare und so privilegierte Leben, das wir führen dürfen. Und das aus reinem Zufall – weil wir einfach in einem Land geboren wurden, in dem es uns so verdammt gut geht. Ein anderes Land, die Kultur und Menschen kennenzulernen und in einen ganz anderen Alltag einzutauchen hilft mir immer mal wieder dabei, mein eigenes Leben mit einer gewissen Distanz zu betrachten. Dadurch werden Sorgen und Probleme, die zu Hause noch viel Raum eingenommen haben, meist redundant, und statt vieler kleiner Dinge fällt es mir leichter, das große Ganze zu sehen.

All das, die Gelassenheit und den Perspektivwechsel, versuche ich natürlich mit nach Hause zu nehmen. Zwischen Steuererklärung und Arbeitsstress fällt es mir zugegebenermaßen jedoch oft schwer. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass mich jede Reise, jeder Aufenthalt in einem fremden Land ein Stück weit zu dem Menschen gemacht hat, der ich heute bin. Ich wäre wohl eine andere, wenn ich nie über Monate hinweg auf mich allein gestellt gewesen wäre und eine andere Sprache hätte lernen müssen, wenn ich nicht mit Schildkröten geschwommen und auf Berge geklettert wäre, wenn ich nicht Menschen getroffen hätte, die mich in ihr zu Hause, in ihr Leben gelassen und mir gezeigt haben: Es geht auch ganz anders, das Leben.

Eine dieser eindrücklichen Erfahrungen habe ich definitiv in Südafrika gemacht. In letzter Zeit lese ich immer mehr Berichte über Kapstadt, über die aufstrebende Szene junger Kreativer und innovativer Food-Konzepte. Kürzlich hat sogar Ikea die designaffinen Südafrikaner im Rahmen einer Kooperation für sich gewonnen. Ich verbinde mit dem Land hingegen etwas völlig anderes. Zum Ende des Studiums hin wollte ich unbedingt nach Kapstadt. Was macht man, wenn man Studentin ist ohne viel Geld, aber Bock hat, die Welt zu sehen? Sich eine Organisation raussuchen, die Freiwiliige sucht und dafür Kost und Logi anbietet. Über viele Recherchen bin ich schließlich auf die New World Foundation gestoßen, die unter anderem eine Vorschule und ein Nachmittagsprogramm für Schulkinder anbietet. Zusammen mit einer Freundin ging es also für 6 Wochen nach Kapstadt.

Wir haben zwischen einem Township und Marina da Gama gewohnt, einem schnieken Viertel für Weiße, auf einer Farm, die durch hohe Zäune und vergitterte Fenster gesichert war. Wir haben den Lions Head erklommen und uns bequem mit der Seilbahn auf den majestätischen Tafelberg fahren lassen. Wir haben das Einheimischen-Taxi genommen und konsequent im Zug in der 2. Klasse gesessen, obwohl uns jeder zur 1. geraten hat. Wir haben einen Gottesdienst besucht, in einer Kirche mit dem wunderbaren Namen „Happy Clappy“, und der Name war sowas von Programm. Wir haben einen Roadtrip gemacht und waren immer ein bisschen angespannt, wenn wir mit laufendem Motor an einer Ampel standen und wie empfohlen die Türknöpfe runter drückten. Wir waren abends in unserem Viertel nicht mehr nach Einbruch der Dunkelheit draußen und mieden nachts in der City die Seitenstraßen. Wir hörten uns schaurige Geschichten an, sowohl von weißen Südafrikanern über brutale Überfälle als auch von schwarzen Südafrikanern über Armut, Perspektivlosigkeit und Gewalt. Wir lauschten der Amtssprache Afrikaans und naschten süße Nachis (Zitrusfrüchte, die aussehen wie winzig kleine Orangen). Wir staunten über den schönen Camps Bay und über Mandelas Geschichte im Gefängnis von Robben Island. Wir tanzten die Nacht durch auf der Long Street, fotografierten die bunten Häuser am Muizenberg Beach, schlürften Wein auf einem Weingut in Stellenbosch und ließen uns am Kap der guten Hoffnung den Wind um die Nase wehen.

Aber was wir vor allem gemacht haben und was mich mit Abstand am meisten geprägt hat, ist Zeit mit den Menschen im Township zu verbringen. Mit den freiwilligen Helfern, die jeden Tag für die Kinder in die Organisation kamen und nichts dafür kriegten, außer einem „Mittagessen“ (einem Sandwich aus labbrigem Weißbrot, Rührei, das nur aus Eiweiß bestand, und Ketchup). Die so stark, so positiv und so dermaßen lebensfroh waren, obwohl ihr Weg zur Arbeit viel zu oft von Schüssen in der Ferne begleitet wurde. Die trotzdem kamen, weil ihnen nichts wichtiger war, als die Kinder von der Straße zu holen, ihnen einen Zufluchtsort, etwas zu Essen und ein bisschen Sorglosigkeit zu bieten. Die so unglaublich viel getanzt, gesungen und gelacht haben, Kinder wie Erwachsene, obwohl es so wenig zu lachen gegeben hätte. Wofür sie kein Mitleid wollten, und wofür sie gerade deshalb meinen allerhöchsten Respekt verdienen. Meine Freundin und ich fuhren nach Kapstadt mit der überheblichen Idee, vielleicht könnten wir den Menschen dort helfen und ihnen in ihrer Arbeit mit den Kindern noch etwas „beibringen“ (weil wir ja studiert hatten und ein paar Basiskenntnisse aus der Pädagogischen Psychologie besaßen). Nur um am Ende demütig festzustellen, dass WIR diejenigen waren, die von den Menschen vor Ort gelernt hatten, und zwar fürs ganze Leben. Bis heute denke ich immer wieder an sie zurück. Jedes Mal, wenn ich in den Spiegel schaue und die kleine Narbe zwischen meinen Augen sehe, weil ich mich dort bei den Vorschulkindern mit Windpocken angesteckt hatte. Ganz besonders aber, wenn sich in Deutschland mal wieder alle übers Wetter, die Politiker oder andere Nichtigkeiten aufregen und durch das Jammern auf allerhöchstem Niveau völlig unnötiger Weise selbst Unzufriedenheit und schlechte Laune produzieren, obwohl es dafür absolut keinen Grund gibt. Dann denke ich manchmal an die, die wirklich einen Grund hätten, die aber in der „Happy Clappy“ Kirche stehen, ach was, tanzen, singend und lachend und voller Lebensfreude. Die mir gezeigt haben: Es kommt sowas von nicht auf die Bedingungen an („Wenn doch nur…“), sondern ausschließlich darauf, was du daraus machst.

Ich bin selbst etwas überrascht, dass ich gerade feuchte Augen beim Tippen kriege, weil mich auch jetzt noch, ziemlich genau 9 Jahre später, die Erinnerungen an die Menschen, denen ich begegnen durfte, enorm berühren. Ich flog zwischen meinen beiden Diplom-Prüfungsblöcken hin, genervt vom lästigen Lernen, auf der Suche nach Abwechslung. Ich traf in der Organisation eine junge Frau, die gerne studiert hätte, aber nicht die finanziellen Möglichkeiten dazu hatte. Eine Frau, so talentiert und ambitioniert, dass es mir schwer ums Herz wurde. Als ich demütig nach Deutschland zurückkehrte, absolvierte ich meine letzten Uniprüfungen mit einem tiefen Gefühl der Dankbarkeit. Und flog wenige Monate später erneut mit meiner Freundin nach Kapstadt. Dieses atemberaubend schöne Land, die lebensfrohen Menschen ließen uns nicht mehr los. Der zweite Aufenthalt war weniger intensiv – zum einen war er nicht so lang wie der erste, zum anderen waren wir diesmal nur als Touristen dort. Wir besuchten die ehemaligen Kollegen und die Kinder in der New World Foundation, aber wir waren eben nur noch Besucher. „You are so privileged“ sagte die Leiterin der Vorschule zu mir ohne jeglichen Vorwurf oder Neid, lediglich als reine Feststellung, und meinte damit die finanziellen Mittel, innerhalb kürzester Zeit zwei Mal eine solche Reise unternehmen zu können. Ich ging mit einer Mischung aus Wiedersehensfreude und Scham, denn sie hatte recht.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.