Familie

Und nochmal zwei – keine Panik!

Mein Mann wird beim Anblick der Überschrift wohl als erstes fragen: „Jetzt ernsthaft, WER hat das geschrieben?“ Vielleicht bin ich nicht die richtige beim Thema „Gelassener Umgang mit der Diagnose Zwillinge“ (ja, genau so fühlte sich das anfangs an – als Diagnose!) – die ersten Tage, ach was, Wochen nach der Botschaft hätte ich jedenfalls kein Fahrzeug führen dürfen. Streng genommen nichtmal alleine über die Straße gehen. Ich war wirklich in einem Schockzustand. Weil wir schon einen kleinen Wirbelwind haben und ziemlich genau wissen, was da mit einem Kind auf uns zukommt, geschweige denn mit zweien. Weil wir keine Familie vor Ort haben. Und weil wir im 4. Stock ohne Aufzug wohnen. Um nur ein paar Punkte zu nennen, die anfangs für Herzrasen gesorgt haben.

Vielleicht bin ich aber doch genau die richtige für das Thema, denn wenngleich ich der Ankunft der Zwillinge im weiteren Verlauf nie maximal tiefenentspannt entgegenblickte, wuchsen dennoch im Verlauf der Schwangerschaft meine Gelassenheit und Zuversicht, dass alles irgendwie gut werden wird. Auf einer Skala von 0-10 sind meine Ängste und Sorgen deutlich zurückgegangen, und eine 0 macht ja evolutionsbiologisch gesehen auch gar keinen Sinn – Angst soll uns ja grundsätzlich erstmal wachsam machen und auf mögliche Gefahren und Risiken vorbereiten. Mein Mann, der da schon von Natur aus bei minus 6 startet, versteht das natürlich nicht so richtig. Sein kurzfristig angenehmerer Schutzmechanismus der Verdrängung führt dann aber ggf. auch langfristig dazu, etwas überrollt zu werden von dem, was da kommt.

Aber genug mit dem Psycho-Gedöns – was hat mir geholfen, die anfänglichen Gefühle der Panik und Überforderung über die Zwillings-Schwangerschaft zu bändigen?

Information, Information, Information
Das ist natürlich so eine Sache mit dem Internet, dem Befragen anderer und dem, was so in Büchern zu finden ist. Man muss schon gezielt rausfiltern können, worauf man so stößt, sonst kann man sich dabei auch verrückt machen. So hatte das anfängliche Lesen im Internet, wie andere Zwillingseltern das denn so schaffen (z.B. Etagenwohnung ohne Aufzug), Vor- und Nachteile: Es ist beruhigend zu lesen, dass andere es auch irgendwie hinkriegen und was es z.T. für kreative Ideen gibt, um sich den Alltag leichter zu machen. Aber man stößt beim Recherchieren natürlich auch zwangsläufig auf unschöne Schlagzeilen („The vanishing twin“ oder „Wie ich meine behinderten Zwilllinge zur Welt brachte“…). Jeder muss daher für sich selbst entscheiden, wieviel und wo er sich informieren möchte. Mich hat es jedenfalls beruhigt, gut informiert zu sein über mögliche Schwierigkeiten und Risiken sowie realistische Zahlen zu kennen, anstatt mir unnötig Sorgen aus Unwissenheit heraus zu machen.

Unterstützung organisieren
Uns bereitet vor allem auch die fehlende familiäre Unterstützung vor Ort immer wieder Kopfzerbrechen, denn schon bei einem Kind heißt es nicht umsonst „Es braucht ein ganzes Dorf…“, ganz zu schweigen bei dreien. Daher hat auch das Wissen um solch eine bedeutende Veränderung viele Gespräche zwischen meinem Mann und mir nach sich gezogen, was einen möglichen Umzug betrifft. Das Thema ist noch nicht ganz vom Tisch, aber erstmal bleiben wir hier und schauen weiter, wenn die Zwillinge da sind. Beruhigt hat mich das funktionierende Netzwerk an Unterstützung, als wir beide einen Tag vor Weihnachten plötzlich überm Klo hingen und nicht mal mehr dazu in der Lage waren, uns um den Dicken zu kümmern. Innerhalb kürzester Zeit war erst unsere Putzfrau da, die ihn schon ein paar Mal betreut hat, und dann die Babysitterin, die ihn ins Bett brachte. Zudem haben wir uns gegen Ende der Schwangerschaft eine von der Krankenkasse finanzierte Haushaltshilfe organisiert und ich werde versuchen, nach der Geburt wieder Hilfe von „Wellcome“ zu bekommen, einem Verein mit ehrenamtlichen Familien-Helfern. Eine Notfall-What’s App-Gruppe ist erstellt mit Nachbarn, Freunden, Babysitterin und Putzfrau zur Betreuung des Großen, falls die Geburt in einer Nacht und Nebel Aktion beginnt. Und als ich neulich doch für ein paar Tage ins Krankenhaus musste, funktionierte unser Netzwerk wunderbar. Auf das Angebot von befreundeten Familien, ihn nachmittags mal mit auf den Spielplatz nehmen zu können, wenn’s hier brennt, werden wir sicherlich zurückkommen. Mein Mann nimmt zudem am Anfang drei Monate Elternzeit und die Großeltern, die bereits innerhalb eines Tages während meines Krankenhausaufenthaltes anreisten, stehen weiterhin in den Startlöchern, gerade was die Betreuung vom Dicken betrifft. Anstrengend wird’s trotzdem, aber wir haben ein Netzwerk an Helfern organisiert und das ist ein beruhigendes Gefühl!

Die Gesprächspartner weise wählen (Optimisten vs. Pessimisten)
Jeder hat eine Meinung dazu. Und die gehen, je nach deinem Gegenüber, bisweilen meilenweit auseinander. Ich konnte in den ersten Wochen, wo ich selbst noch total aufgewühlt war, weder zu euphorische noch zu negative Kommentare ertragen. Von „Welch ein Wunder“ und „Wie toll, doppeltes Glück!“ bis zu „Mein Beileid“ (Kommentar eines Zwillings, der die eigene Mutter zitierte) war alles dabei. Diese vollkommen einseitigen Betrachtungen haben mich genervt. Vom „doppelten Glück“ sprechen in der Regel nur die, die noch keine Kinder haben. Menschen, die bereits Eltern sind, reagieren bereits deutlich weniger euphorisch auf die Zwillings-Botschaft. Und nun rate mal, wer mir nicht ein einziges Mal mit „doppeltem Glück“ kam, wenn ich von meiner Zwillings-Schwangerschaft erzählte? Richtig, die Zwillings-Eltern selbst (Zitat: „Es ist nicht so schlimm, wirklich!“). Übermäßig sorgenvolle und negative Reaktionen waren hingegen genau so wenig hilfreich. Egal, was dem Gegenüber einfallen mag, er kann davon ausgehen, dass wir diese Gedanken schon 100 Mal durch haben. Ich mache mir selbst genug Sorgen, da brauche ich nicht noch jemanden, der das anfeuert. Denn am Ende wird es beides: Unglaublich, wunderbar, wahnsinnig anstrengend, die größte Herausforderung unseres Lebens, aber, da bin ich mir sicher: auch die größte Bereicherung. Die beste und ehrlichste Reaktion auf solch eine Botschaft ist daher in meinen Augen ganz einfach: „Oh, WOW!“ Nicht mehr und nicht weniger.

Negativ-Vergleiche nach unten
Vergleiche mit anderen, die in einer schlechteren Position sind als man selbst, führen dazu, dass wir uns selbst besser fühlen. Das machen selbst Krebs-Patienten („Zum Glück habe ich nur XX und nicht YY wie mein Zimmernachbar“) und es kann ein hilfreicher Bewältigungsmechanismus zur psychischen Stabilisierung sein. Mein Mann meinte mal: „Wenn die Zwillinge nur ein Mal die Woche kacken, wird’s mit beiden zusammen schon leichter als mit dem Dicken alleine“. Recht hat er. Vieles steht und fällt mit dem Darm des Kindes (welcher beim Großen sämtliche Rekorde gebrochen hat). Die Vorstellung ist daher für mich beruhigend, dass zwei mit (hoffentlich) durchschnittlicher Darmtätigkeit einfacher zu versorgen sind als einer mit nem Höllendarm. Ich ertappe mich auch beim Anblick von Drillingsmüttern bei dem Gedanken „Gott sei Dank werden es nur zwei“ – und trotzdem schaffen es die anderen ja auch irgendwie. Und den Vogel abgeschossen hat mal eine Mutter aus England, die nach der Geburt eines Zwillingspärchens noch „ein schnelles Mädchen“ hinterherschießen wollte (WTF?!) und dann innerhalb desselben Kalenderjahres ZWEI Mal Zwillinge bekommen hat. Also insgesamt vier unter 1 Jahr. Das weckt ein bisschen Mitleid, recht viel „selbst Schuld“ und eine große Portion „ach, und bei uns sind’s ja nur zwei“…

Entscheidungen aufschieben
Ein Teil der anfänglichen Überforderung rührte natürlich daher, dass unser Leben nicht auf drei Kinder ausgerichtet war. Auto, Wohnung, die Entfernung zur Familie, alles schien suboptimal. Am liebsten hätte ich sofort für alles eine perfekte Lösung gehabt, aber die ersten drei kritischen Monate wären voreilige Entscheidungen sowieso sinnlos, und dann dauert die (i.d.R. kürzere) Schwangerschaft auch wieder nicht so lange, als dass zwei, die sich auch nicht unbedingt einig sind, das Familienleben mal eben komplett umkrempeln. Ich wäre am liebsten zeitnah weggezogen, weil wir das, was ich auf Dauer für uns fünf gern hätte, in Berlin nicht kriegen (oder bezahlen können). Außerdem würde ich wirklich gern näher an der Familie wohnen. Aber es hängen auch andere Dinge dran, wie z.B. ein Kita-Platz (bzw. drei) und unsere Jobs. Als Lehrer kann sich mein Mann auch nicht so einfach jederzeit umbewerben. Daher half es irgendwann, etwas Druck rauszunehmen und manche Entscheidungen aufzuschieben. Die Zwillinge müssen eben doch erstmal da sein, damit wir wirklich merken, was geht und was nicht. Was anstrengend, aber vielleicht doch machbar ist, oder was wir auf jeden Fall verändern müssen und wollen.

Auf Zeit setzen
Je weiter die Schwangerschafts-Woche, desto ruhiger wurde ich. Ganz am Anfang kamen Gedanken wie: „Und wenn die ersten 3 Monate doch nur einer von beiden schafft?“, danach saß einem das Frühgeburten-Risiko ständig im Nacken. Als wir in Woche 28 angekommen waren, merkte ich deutlich, dass ich entspannter wurde. Jetzt war die Überlebenschance, selbst wenn sie kommen würden, schon extrem hoch. Dann die 3 davor, mega! Fast schon fertig die zwei! Von Tag zu Tag, von Woche zu Woche wurde ich ruhiger und einfach dankbar, dass die beiden noch drin waren, es ihnen gut ging und ich zu Hause sein konnte statt im Krankenhaus. Bis ich dann vor kurzem in Woche 31 doch für mehrere Tage im Krankenhaus war, wegen frühzeitiger Wehen und verkürztem Gebärmutterhals. Aber nach zwei Tagen war die Lungenreife dank Wehenhemmer durch und ich durfte sogar nochmal nach Hause. Seitdem warte ich täglich auf die beiden  Aber wir sind schon wieder zwei Wochen weiter und mit jedem weiteren Tag werden die beiden kräftiger und widerstandsfähiger.

Die Geburt – offen für alles sein
Etwas, wovor ich riesig Respekt habe, ist natürlich die Geburt. Für mich wird das die vielleicht größte Herausforderung meines Lebens – zwei Kinder gleichzeitig zur Welt bringen und zu versorgen. Ob es ein Kaiserschnitt oder eine spontane Geburt wird, hängt bei Zwillingen von vielen Faktoren ab. Man muss schauen, in welcher Schwangerschaftswoche man dann ist, wie es allen gesundheitlich geht, wie die beiden liegen usw. Und dann muss ich mir, selbst unter guten Voraussetzungen, eine spontane Geburt von zwei kleinen Babys mit all den Risiken auch noch zutrauen. Und alle Ängste im Griff haben, denn es entscheiden sich nicht umsonst viele für die risikoärmere Variante, den Kaiserschnitt. Und dass mir nichts wichtiger ist, als dass wir da am Ende alle gesund rausgehen, brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Ohne die schwierige Geburtserfahrung mit meinem ersten Sohn würde ich vielleicht unbefangener da rangehen, aber ich kann die Erinnerungen nunmal nicht aus meinem Gedächtnis löschen. Vielleicht entscheiden es die Babys am Ende selbst. Trotzdem ist es denke ich von Vorteil, dass ich auch (mehr als) offen für einen Kaiserschnitt bin, der zwar eine OP mit einigen Nachteilen bedeutet (Narbe, Wundschmerz etc.), aber für die Babys auch die sicherste Variante wäre. Den Erfahrungen anderer Zwillingsmütter habe ich entnommen, dass diejenigen, die unbedingt eine spontane Geburt wollten, am Ende an dem (notwendigen) Kaiserschnitt zu knabbern hatten, während die, die sich dafür entschieden haben oder zumindest OK damit waren, auch weniger psychische und körperliche Beschwerden im Nachhinein berichten.

Einen Blick in die Zukunft werfen
Machen wir uns nichts vor, die ersten Monate, ach was, die ersten 2-3 Jahre werden hart. Bis die Kids aus dem Gröbsten raus und nur noch verdammt oft statt dauerkrank sind, und bis es vielleicht mal die ein oder andere Nacht geben wird, wo wir ein paar Stunden Schlaf am Stück kriegen (ach nee, fast vergessen, wir erwarten ja gleich zwei dieser ominösen Super-Babys, die sich selbst abstillen und mit 8 Wochen schon durchschlafen werden!). Aber es gab einen Moment in der Schwangerschaft, da turnte der Dicke morgens durch unser Bett und sang bestens gelaunt Lieder aus der Kita. Einer dieser Momente, wo man mal wieder daran erinnert wird, warum es so toll ist, eine Familie zu haben. Und da sah ich uns alle plötzlich drei Jahre weiter, wie noch zwei kleine Stöpsel mehr da rumspringen, Lieder schmettern und unser Herz hüpfen lassen. Und wie dankbar ich wohl dafür sein werde, da wir uns selbst nicht für drei Kinder entschieden hätten und somit einen dieser kleinen Wirbelwinde niemals in unserem Leben gehabt hätten. Was hätten wir da wohl verpasst?

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